... das gehört zusammen wie gutes Training und ein schneller Wettkampf. Es muss aber nicht immer mit Laufen zu tun haben. Hier bekommt ihr jeweils eine Story angeboten, die sich ums Laufen dreht, oder auch nicht.
Familie.
Woran liegt es, dass man sich in bestimmten Gemeinschaften wohl fühlt und in anderen nicht? Ich habe keine abschließende Antwort auf diese Frage, kann nur aus meinen eigenen Erfahrungen berichten. Die grenze ich jetzt auf die Sportvereine ein, in denen ich in meinem Leben „unterwegs“ war. Da gab es gravierende Unterschiede, jedenfalls was meine Gefühlswelten anging.
Ich war, und bin noch immer, fest davon überzeugt, dass Kinder unbedingt eine Team-Sportart ausüben sollten. Fußball, Handball, Volleyball, Hockey, Wasserball oder Basketball. Meine Aufzählung ist nicht abschließend. Das Gefühl, Teil eines Teams zu sein halte ich für eminent wichtig. Gerade für Kinder oder Jugendliche. Zusammen kann man etwas schaffen, was man allein nicht hinbekommt. Sich auf andere zu verlassen, oder aber zu wissen, dass andere sich auf Dich verlassen, ist ein Gefühl, das jeder Mensch erleben sollte. Es kann auch hilfreich sein, festzustellen, dass man sich auf jemanden nicht verlassen kann.
Früher, als ich ein Kind war, hieß es: „Geh in einen Verein. Such dir Freunde. Schließ Dich einer Gemeinschaft an. Zusammen ist man stark. Da kannst Du vieles erreichen.“ Heute heißt es eher: „Du bist etwas ganz Besonderes. Achte darauf, dass es Dir gut geht. Dass deine Wünsche erfüllt werden. Du kommst zuerst, dann die anderen.“ Wenn man mich fragt, ist das eine fatale Entwicklung.
Kommen wir auf den Ausgangspunkt zurück. Ich war in vielen Vereinen „unterwegs“ und die unterschieden sich alle. Beim Fußball war ich erst in meinem Heimatverein, bis ich die Chance bekam höherklassig zu spielen. Mein Heimatverein legte mir beim Wechsel alle Steine in den Weg, die er zur Verfügung hatte. Mein nächster Verein verschaffte mir ein vertrautes, behagliches Gefühl. Ich konnte meine ganze Leistung abrufen und zwei Jahre später wieder in einen höherklassigen Verein wechseln. Ich genoss den Unterschied zu bemerken, dass mir mein jetziger Verein Glück wünschte und volles Verständnis für einen Wechsel nach „oben“ hatte. Im neuen Verein traf ich auf verkrustete Strukturen und Seilschaften der Extraklasse. Nach einem halben Jahr warf ich alles hin. Man weinte mir keine Träne nach und ich war einfach nur froh, weg zu sein. Dann ging es noch einmal nach oben. In der vierthöchsten Spielklasse erkannte ich, dass dort für meine fußballerischen Fähigkeiten Endstation war. Nichtsdestotrotz fühlte ich mich in diesem Verein wohl und hatte immer das Gefühl, Teil eines Teams zu sein; egal ob ich auf der Bank saß oder spielte. Das lag vor allem an einem Trainer, der sein Handwerk verstand. Danach ging es noch einmal etliche Jahre ein paar Klassen tiefer. Ich hatte das Glück, in ein Team zu kommen, das mich brauchte. Es waren meine besten Jahre. Nach drei oder vier Jahren hatte ich nicht das Gefühl, einem Verein anzugehören, sondern einer Familie.
Irgendwann war ich dann für den Fußball zu alt. Ich wechselte zum Laufen und gründete eine Marathon-Laufgruppe. Dass, was mich in meinem letzten Fußballverein so begeistert hatte, wollte ich in diese Laufgruppe mitnehmen. Und es funktionierte.
Seit fast 30 Jahren laufen wir jetzt zusammen. Die Gesichter haben sich verändert. Die Läuferinnen und Läufer der ersten Stunde sind alt geworden. Viele Neue sind dazugekommen. Seltsamerweise lief es immer so, dass die, die zu uns passten, blieben, und diejenigen, die nicht wirklich in dieser Mannschaft teamfähig waren, von allein gingen. Es war von Anfang an harmonisch in diesem komplett zusammengewürfelten Haufen. Einer stand für den anderen ein. Wir waren, und sind noch immer, eine Familie. Wie in jeder Familie gibt es auch bei uns den schrulligen Onkel, die seltsame Tante, das quengelige Kind und die durchgeknallte Nichte. Aber genau das macht eine Familie aus. Jeder wird genommen, wie er ist. Und jeder lässt den anderen so sein, wie er ist. Wie in jeder Familie haben wir unsere eigene Moral und unsere eigenen Vorstellungen von wichtigen Werten. Vor allem aber reden wir miteinander. Oft auch Klartext. Nur so kann eine Gemeinschaft wachsen und stärker werden. Wie in jeder Familie gibt es auch Streit. Aber, auch wie in jeder anderen Familie, muss man irgendwann miteinander reden, weil man sich nicht für ewig aus dem Weg gehen kann.
In Familien durch Geburt, bestimmt das Blut den Zusammenhalt. Man kann das kitschig, altbacken oder einfach falsch finden. Bitte sehr, ich habe nichts dagegen. Aber meine Meinung ist eine andere. Das Blut verbindet. Das merkt man vor allem, wenn schwere Zeiten aufziehen. Wenn sich alle anderen zurückziehen und plötzlich nicht mehr zu sehen sind, dann bleibt oft nur die Familie, die dich unterstützt.
In unserer Lauf-Familie verbindet uns kein Blut, sondern gemeinsame Interessen. Wir sind positiv verrückte Langstreckenläufer, die zusammengefunden haben. Auch wenn jeder von uns einiges für den anderen tun würde, eine Zweckgemeinschaft sind wir nicht. Wir bleiben nicht zusammen, weil wir es müssen, sondern weil wir es wollen. Dabei stehen alle Türen immer offen. Man kann hinein oder hinausgehen, ohne aufgehalten zu werden. Das nenne ich Freiheit. Ich kann nur hoffen, dass es in dieser „Lauf-Familie“ so weitergeht, wie in jeder anderen Familie. Eine junge Generation wechselt die alte Generation ab. Dann werden die jungen alt und werden ebenfalls ersetzt. Und so weiter und so fort. Das würde mir gefallen…
Thomas Knackstedt