... das gehört zusammen wie gutes Training und ein schneller Wettkampf. Es muss aber nicht immer mit Laufen zu tun haben. Hier bekommt ihr jeweils eine Story angeboten, die sich ums Laufen dreht, oder auch nicht.
Lieblose Massenabfertigung trifft
atemberaubende Kulisse.
Der Berlin Marathon. Als ich mit dem Marathonlauf begann, war das Mekka New York. Jeder sollte da einmal gelaufen sein. Mal abgesehen davon, dass mir das viel zu weit entfernt war, wäre mir auch der Rummel zu viel gewesen. Also lief ich damals in Berlin. Das war um die Jahrtausendwende. Schon damals war Berlin eine große Veranstaltung. Allerdings keine, die weltweit für Aufsehen sorgte. Mit unserer Laufgruppe erlebten wir dort Chaos live. Die Startnummernausgabe funktionierte nicht. Wir halfen total überforderten Helfern, die dankbar waren, dass wir mit anpackten. Die Startaufstellung war katastrophal, die Blöcke kaum zu erreichen. Toiletten gab es zu wenig, Läufer zu viel. Es gab eine Startnummer und Wasser aus dem Hydranten. Das war es dann aber auch schon. Die Strecke war wunderschön, die Zuschauer klasse. Für uns war allerdings klar: Einmal und nie wieder.
Jetzt, über zwanzig Jahre später, machen sich „meine“ Läufer Natascha, Jan und Marco auf, um den Berlin Marathon live zu erleben. Mittlerweile einer der gefragtesten Marathons der Welt. Wer da laufen will, muss sich einer Auslosung stellen und wird ganz schnell 200 Euro los. Was sich allerdings nicht geändert hat ist, dass es auch heute dafür nur eine Startnummer und Wasser aus dem Hydranten gibt.
Unsere Trio ist mittlerweile ziemlich Marathon-erfahren. Die kennen sich aus. Jan hat eine Unterkunft besorgt und die Abläufe vor dem Start sind klar. Die Startnummernausgabe ist problemlos, andere Läufer berichten später, dass sie stundenlang warten mussten. Das war schon mal gut. Danach ging es ins Hotel, das komplett von italienischen Läufern „gekapert“ worden war. Wie gesagt, der Hype auf den Lauf ist weltweit. Nach dem Essen ging es früh ins Bett und um 6 Uhr aus dem Bett wieder raus. Frühstücken, S- und U-Bahn-Fahrt zum Start. Da wartete dann das Chaos pur.
Jan hat mir das sehr schön beschrieben. „Es war alles voller Menschen. Eng und unübersichtlich. Wir wollten noch mal auf ein Dixie und haben dort eine halbe Stunde gestanden. Wir sind nicht drangekommen. Da blieben einem nur die Büsche übrig, die gut besucht waren. Wer schwache Nerven hat, war vor dem Start schon erledigt. Das muss man erst einmal aushalten. Das war ein bisschen wie im Krieg. Dann wurde es knapp mit der Zeit. In den Startblock zu kommen war zwanzig Minuten vor dem Start unmöglich. Ich musste über einen Zaun klettern, um den Block zu erreichen. Die anderen Läufer im Block haben mich dafür ordentlich angemacht. Natascha und Marco kamen in ihren Startblock gar nicht mehr rein. Sie mussten warten, bis der Startschuss gefallen war, um sich dann in die laufende Menge hineinzudrängen. Auf den ersten Metern musste man schauen, dass man nicht unbeabsichtigt geschubst oder getreten wurde. Doch das gab sich relativ schnell. Auf der Strecke war es dann atemberaubend schön. Die Straßen breit und flach, das Publikum allererste Sahne. Was will man mehr?“
So liefen Natascha, Jan und Marco durch die Hauptstadt. Wir anderen verfolgten das Rennen im Live-Tracker, nur Annike und Roman waren nach Berlin gefahren. Sie wollten ihre Lauffreunde bei Kilometer 7 an der Strecke sehen, mussten allerdings feststellen, dass das unmöglich war. Die Läufermassen waren einfach zu dicht. Später bekamen sie dann wenigstens noch Marco zu Gesicht.
Das Rennen lief gut, wenn auch nicht perfekt. Jan musste ab Kilometer 30 leichte Zeiteinbußen hinnehmen. Bei Marco war das ab Kilometer 35 der Fall. Natascha verlor fast keine Zeit und lieferte ein Top-Ergebnis ab. Am Ende war Jan unter den drei Stunden und Natascha und Marco hatten jeweils eine neue Bestzeit gelaufen.
Im Ziel waren alle drei erstaunt, dass ihre Laufuhren eine viel längere Strecke anzeigten. Bei Jan waren es 1000 Meter mehr, bei den beiden anderen bis zu 800 Metern. Das hatte sie schon auf der Strecke irritiert. Ihre Uhren zeigten an, dass die Halbmarathondistanz geschafft war, der Halbmarathon-Zeitteppich lag aber noch ein paar Hundert Meter voraus. So zog sich das bis ins Ziel. War die Strecke etwa zu lang? Natürlich war sie das nicht. Auf der Marathonstrecke in Berlin wurden schon etliche Weltrekorde gelaufen. Da stimmt jeder Meter. Allerdings ist es in einer Großstadt so, dass enge Häuserschluchten und umgebende Hochhäuser die Satelliten-Signale teilweise abschirmen können. Zu einer völlig normalen Differenz von 1 bis 2 Prozent kann sich dann noch etwas aufsummieren. Die Uhren zeigen dann oft eine längere Laufstrecke an. Wobei… schon 1 Prozent Differenz bedeuten im Marathon 400 Meter. Wer das weiß, richtet sich einfach nach seiner Stoppuhr und den aufgestellten Kilometerschildern. Wer allerdings komplett „uhrengläubig“ ist, der kann schon mal nervös werden und ins Zweifeln geraten. Letztendlich war das für den Rennausgang aber nicht entscheidend. Die Ergebnisse können sich sehen lassen und beim nächsten Start in einer Großstadt wissen alle Bescheid.
Nach dem Rennen trafen sich die drei am Sammelpunkt und feierten ihre Erfolge. Marco robbt sich nach und nach an die 3 Stunden-Grenze heran. Jan hat die Zeiten unter 3 Stunden fest im Griff und Natascha ist auf einem beeindruckenden Weg nach vorn.
Wie ist das Fazit zum Berlin Marathon? Jan sagt: „Kann man machen. Es ist ein völlig anderer Marathon. Man ist nie allein und es gibt immer was zu sehen. Es ist ein Erlebnis. Ob man das nochmal machen muss, steht in den Sternen. Vor dem Start war es extrem stressig. Wir haben nicht alles erreicht, was wir wollten, aber wir sind alle mega happy.“
Marco sah das ähnlich. „Der Lauf an sich war sehr schön. Das Drumherum war eine lieblose Massenabfertigung. Das hat mir nicht gefallen. Da waren die Marathonläufe in Köln, Hannover oder auf Helgoland wesentlich liebevoller und läuferfreundlicher gestaltet. Berlin vermittelt den Eindruck, dass der Lauf ein riesiges Geschäft ist.“
Natascha meint: „Vom Überqueren der Starlinie bis zum Ziel ein einmaliges, positives Erlebnis. Davor leider nicht. Ganz schlimm die Situation mit den Toiletten. Ganz viele Menschen mussten, unter den Augen aller Passanten, in die Büsche. Dann kam man nicht in den Startblock. Die Läufer waren allesamt gereizt, es wurde gedrängelt und geschubst. Gerade die kleineren, zierlichen Läuferinnen haben da kaum etwas entgegenzusetzen. Die Ausschilderung zu den Startbereichen war nicht gut und es wurde viel zu viel Müll produziert. Hier und da bekommt man das Gefühl „abkassiert“ zu werden. Ich habe das jetzt erlebt und werde hier vermutlich nicht noch einmal starten.“
So war das also in Berlin. Ich war nicht erstaunt, dass das Fazit unserer Starter ähnlich ausgefallen ist, wie unser Fazit vor über 20 Jahren. Es ist noch größer und noch teurer geworden. Das Geschäft scheint noch ein ganzes Stück weiter vor den Genuss gestellt worden zu sein. Von meinen damaligen Begleitern ist jedenfalls keiner mehr in Berlin gestartet. Bei den jetzigen Verhältnissen, die vermutlich in den nächsten Jahren noch gigantischer werden, wird das sicher auch so bleiben.
Thomas Knackstedt