Schreiben und Lesen...

        

... das gehört zusammen wie gutes Training und ein schneller Wettkampf. Es muss aber nicht immer mit Laufen zu tun haben. Hier bekommt ihr jeweils eine Story angeboten, die sich ums Laufen dreht, oder auch nicht.


 

 


Mein letzter Einsatz.


Eigentlich dachte ich, dass der schon vor zwei Jahren stattgefunden hat. Aber: So kann man sich täuschen. Wie hätte mein alter Dienstkumpel Andi gesagt: „Einmal Junkie, immer Junkie.“ Vielleicht würde auch: „Einmal Bulle, immer Bulle“ passen. Ich weiß nicht.


Wir sitzen am Samstagabend auf dem Sofa und schauen einen Krimi. Nicht, dass mein Adrenalinspiegel da besonders hochsteigt, aber unterhaltsam ist es schon. Urplötzlich klingelt es. Der Hund schlägt an und die Liebe meines Lebens und ich schauen uns an. Besuch zu dieser Zeit? Niemals! Ich gehe runter, öffne die Tür, und sehe niemanden. Ein Klingelstreich also. Na super. Das ist genau das, was ich in meinem Pensionärs Dasein brauche. Nicht, dass ich so etwas als Kind nicht auch gemacht hätte, allerdings erwarte ich in solchen Fällen auch, dass man sich nicht erwischen lässt. Alles andere ist Dilettantismus und sollte Folgen haben.


Bild von Henrik Bortels aus Unsplash


Ich gehe wieder nach oben und die Liebe meines Lebens steht am Fenster und sagt: „Da hinten, hinter dem Auto, da verstecken sich welche und lachen sich schlapp. Ich würde mal sagen, dass sind drei Mädchen.“ Ich höre ihr zu und antworte: „Ach ja? Weißt du was? Die schnappe ich mir.“ Während ich mir die Schuhe anziehe, denke ich, dass für so etwas ja eigentlich Arkadi zuständig wäre. Wenn man schon einen Schäferhund in der Blüte seines Lebens im Haus hat, könnte er solche Dinge ja auch regeln, oder? Aber ich verwerfe den Gedanken. Der Hund ist viel zu sozial und liebevoll, als dass er hier eingreifen würde. Ich bin das nicht.


Als ich auf die Straße trete, höre ich das Trippeln von Füßen und kleine, spitze Schreie. Ich sehe noch einen Jackenzipfel hinter einer gegenüberliegenden Hauswand im Garten verschwinden. Ich nehme die Verfolgung auf. Im Garten ist das nicht schwer. Es hat geschneit und die Spuren sind so klar und deutlich wie ein Leuchtpfeil auf dem Rettungsweg. Es geht einmal ums Haus herum und dann in den Vorbau des Hauses. Dort unter dem Dach stehen drei junge Grazien und ducken sich eng aneinander.


„Was soll denn das?“ beginne ich. „Ihr solltet so einen Scheiß nicht am Samstagabend machen. Da haben die Leute eine kurze Zündschnur. Vielleicht lässt mal jemand den Hund raus oder verpasst euch eine Backpfeife.“ Sechs Augen starren mich an, niemand sagt etwas. Ich mache weiter: „Könnt ihr nicht reden, oder was? Muss ich erst die Eltern sprechen, oder kriegt ihr das auch hin?“ Jetzt fühlt sich eines der Mädchen tatsächlich gewogen zu antworten. „Wir haben Wahrheit oder Pflicht gespielt. Wir machen das auch nie wieder.“ Na bitte, geht doch. Ich verabschiede mich mit den Worten: „Das will ich hoffen.“


Ich muss selbst schmunzeln, als ich wieder nach Hause gehe. Ich glaube, ich bin ganz gut rübergekommen bei diesem Klingelstreich. Der ist zwar absolut harmlos und nervt halt nur, aber wie gesagt: Erwischen lassen darf man sich nicht. Ansonsten ist eine Gardinenpredigt Pflicht. Die jungen Hüpfer denken halt nur in den Grenzen ihrer Realität. Die glauben nicht, dass sich jemand wegen eines Klingelstreichs auf den Weg machen würde. Da kennen sie meine Generation aber schlecht. Wir stehen am Fenster und verbinden ein AWACS-Überwachungssystem, das heute die Liebe meines Lebens gegeben hat, und die schnelle Eingreiftruppe, die ich gerade noch so hinbekomme, zu einem Einsatzgeschehen der Extraklasse.


Bild von Max Fleischmann aus Unsplash


Als ich wieder in die Stube komme, sitze die Liebe meines Lebens auf dem Sofa und lacht sich schlapp. „Was gibt es denn da zu lachen?“ frage ich. „Och,“ antwortet sie, „das hat dir so richtig Spaß gemacht, oder? Sei ehrlich. Das war wie früher im Dienst, ja?“ Ich unterdrücke mein Lachen und tue todernst: „Das ist nicht lustig. Du weißt genau, was aus diesen Kindern mal wird. So fängt es nämlich an…“ Dann kann ich weder mein Lachen unterdrücken noch den ernsten Ton beibehalten. Wir lachen zusammen. Sie küsst mich und sagt: „Endlich mal wieder im Einsatz. War das nicht aufregend?“ Für diese Sprüche liebe ich sie. Aber manchmal geht sie mir damit auch gehörig auf den Geist…



Thomas Knackstedt