... das gehört zusammen wie gutes Training und ein schneller Wettkampf. Es muss aber nicht immer mit Laufen zu tun haben. Hier bekommt ihr jeweils eine Story angeboten, die sich ums Laufen dreht, oder auch nicht.
PTGS
Wir leben in einer schnelllebigen Zeit. Für manche Menschen zu schnell. Und auch zu belastbar. Früher machten wir uns über so manches „Sensibelchen“ lustig und meinten, dass er oder sie wohl als Baby „vom Wickeltisch“ gefallen sei. So eine Verallgemeinerung und Diskriminierung kann man heute nicht mehr bringen. Es gibt eine Menge Menschen, die psychisch angeschlagen sind, aus welchem Grund auch immer. Oft wird dann eine Post-Traumatische-Belastungs-Störung festgestellt. Abgekürzt: PTBS. Ich bin mir relativ sicher, dass ich nicht davon betroffen bin. Aber psychisch angeschlagen scheine ich doch zu sein. Wieso ich das glaube? Ich werde es ihnen erzählen.
Wenn ich etwas gut kann, dann ist es schlafen. Acht Stunden nachts und eine Stunde mittags sind kein Problem für mich. Mittags immer traumlos. Nachts immer mit wilden, verrückten, abenteuerlichen Träumen. Oft auch mit Situationen, die mich aufwachen lassen. Teilweise die üblichen Sachen: Man fällt von einem hohen Berg, man wird von einem Monster verfolgt, eine Reise findet kein Ende, weil man nicht vom Fleck kommt, der Tod steht einem gegenüber. Die meisten Träume sind bei mir nicht „Happy End-Belastet.“ Leider viel zu selten gibt es auch Träume, bei denen ich aufwache und denke: Verdammt, ich muss sofort wieder einschlafen, und zwar genau an der Stelle, wo ich gerade ausgestiegen bin. Über die Inhalte dieser Träume werde ich mich jetzt aber nicht auslassen.
Seit vierzig Jahren gibt es aber noch eine ganz spezielle Art von Träumen, die mir sagt, dass nicht alle Schrauben in meinem Oberstübchen so richtig festgezogen sind. Diese Träume haben mit acht Jahren meines Lebens zu tun. Die habe ich, als sie stattgefunden haben, gar nicht als so belastend empfunden, aber im Nachhinein bin ich mir sicher, dass sie es waren. Wieso sollte ich ansonsten immer wieder davon träumen? Schließlich habe ich außer diesen acht Jahren noch 56 andere ereignisreiche Jahre anzubieten. Dazu muss ich ausholen.
Von meiner Geburt bis zum 6. Lebensjahr war ich zu Hause. Meine Oma war meine Kindergärtnerin. Ich wuchs behütet in einer liebevollen Wunderwelt auf. Danach ging es zur Schule. Die fiel mir immer leicht und machte mir Riesenspaß. Dann ging es acht Jahre lang zum Bundesgrenzschutz. Danach waren sieben Jahre Polizeidienst in Sarstedt angesagt. Danach folgten ein paar Jahre auf der kleinen Polizeistation meines Heimatortes und anschließend knapp drei Jahrzehnte bei der Polizei in Alfeld. Alles in allem ein erfülltes Berufsleben. Keine großen Probleme, aber im Polizeidienst jede Menge erlebt. Allerdings träume ich weder von den Leichen, den Bränden, den Unfällen oder den verdammt miesen „Schlachten“ bei Hundertschafts-Großeinsätzen auf Demonstrationen. Nichts davon findet den Weg in meine Träume. Da ist nur Platz für einen Zeitraum: Die acht Jahre Grenzschutz. Wieso? Weshalb? Ich habe keine Ahnung.
Noch heute bin ich nachts an der Grenze unterwegs. Streife über ausgestorbene Landstriche, schieße mit Maschinengewehren oder werfe Handgranaten. Ich bin im Winterbiwak und erfriere irgendwo in einem von Gott verlassenen Waldstück. Ich trete auf eine Mine im Todesstreifen oder werde von einem Beobachtungsturm beschossen. Vor allem aber bin ich in der Ausbildung. Ich werde gedrillt und gedemütigt, dass es eine wahre Freude ist. All das ist irgendwie hängengeblieben. Obwohl ich die ganze Geschichte dieser acht Jahre schon einmal aufgeschrieben habe, will sie doch nicht aus den hintersten Winkeln meines Schädels herauskommen. Ich habe dort schon oft gefegt, geputzt und aufgeräumt. Aber diese Jahre kleben an den Wänden meines Denkens und krallen sich dort mit aller Macht fest. Nicht, dass ich davon schlaflose Nächte bekommen würde, aber wundern tut es mich schon. Ich habe Schöneres und Schlimmeres erlebt als diese acht Jahre. Doch meine Träume interessieren sich anscheinend nur für die Grenze.
Bis der letzte Traum meines Lebens irgendwann durch meinen Kopf spukt, wird sich daran vermutlich nichts ändern. Ich komme damit klar. Einen Psychiater werde ich nicht aufsuchen. Andere Personen werden durch meine Träume auch nicht gefährdet. Für einen Amokläufer fehlt mir die Einstellung und mit den Erinnerungen an meine Grenzschutzzeit habe ich längst reinen Tisch gemacht. Hängengeblieben ist halt nur diese PTGS. Eine Post-Traumatische-Grenzschutz-Störung. Ich vermute, dass ich nicht der Einzige bin, der an dieser seltenen Krankheit leidet. Noch heute höre ich von Kameraden aus dieser Zeit, dass es doch eigentlich ganz schön war. Ich denke dann immer: Keine Ahnung, wo die waren, aber da wo ich war, da waren sie auf gar keinen Fall…
Thomas Knackstedt