Schreiben und Lesen...

        

... das gehört zusammen wie gutes Training und ein schneller Wettkampf. Es muss aber nicht immer mit Laufen zu tun haben. Hier bekommt ihr jeweils eine Story angeboten, die sich ums Laufen dreht, oder auch nicht.



 


Falkenland.


Wie oft bin ich diesen Weg schon gegangen? In den letzten vierzig Jahren ungezählte Male. Doch es wird niemals langweilig. Die Natur hat sieben Tage die Woche einen 24 Stunden Tag. Sie ist ständig am Arbeiten und verändert sich. Sie kann einfach nicht anders.


Vor gut einem Jahr fiel mir auf, dass sich ein Falkenpärchen, direkt hinter den letzten Häusern des Ortes, ein Revier angeeignet hatte. Die Flugkünstler mit den spitzen Flügelenden sind einfach nicht zu übersehen. Wenn sie den Himmel in atemberaubender Geschwindigkeit durchschneiden oder rüttelnd über den Wiesen in der Luft stehen sind sie echte Hingucker.



Fast bei jedem Spaziergang sah ich die beiden Vögel. Ich machte sehr schnell ihren Lieblingsausguck auf einem alleinstehenden Baum am Rand einer Pferdeweide aus. Von dort aus flogen sie ihre Exkursionen über Felder und Wiesen der Umgebung. Immer wieder wurde ich Zeuge, wie die Vögel einer Maus oder einer Blindschleiche „Flugunterricht“ gaben.


Mit jedem meiner Spaziergänge wurden die beiden Falken zur Normalität in meinen Beobachtungen. Ich begrüßte sie jeden Morgen wie zwei alte Freunde. Teilweise konnte ich in nur zehn Metern Abstand an ihnen vorbeigehen, ohne dass sie es für nötig hielten, sich aus dem Baumwipfel in die Lüfte zu schwingen. So, wie es immer mit der Normalität ist, erging es mir mit den Falken. Ich nahm sie noch aus den Augenwinkeln wahr, beobachtete ihre Flüge und spürte kaum, dass meine Aufmerksamkeit mehr und mehr nachließ. Doch das änderte sich.



Als ich an einem warmen Sommermorgen mit dem Mountainbike in die Feldmark fuhr, mit unserem treuer Vierbeiner Arkadi an meiner Seite, rauschte ein Falke im Sturzflug an mir vorbei und setzte sich mit atemberaubender Geschwindigkeit und akrobatischer Sicherheit auf die Spitze eines Weidepfahls, nur einen Steinwurf von mir entfernt. Ich hielt an und betrachtete den Raubvogel. Was für ein wunderschönes, stolzes Tier. Der Vogel flog nicht davon, sondern reckte seinen Kopf in Richtung der Pferdeweide, die sich hinter ihm erstreckte. Fast so, als wollte er mir etwas zeigen. Ich folgte seinem Blick und kniff mehrmals die Augen zusammen, um auch tatsächlich zu glauben, was ich dort sah. Auf drei Weidepfählen saßen dort drei weitere Falken. Ich war hin und weg und ärgerte mich, dass ich keine Kamera dabeihatte, um dieses traumhafte Bild einzufangen. Doch halb so wild, ich speicherte dieses einmalige Erlebnis ganz fest in meinem Kopf. Da wird es einen Ehrenplatz erhalten und so schnell nicht verschwinden.


Kaum waren mir diese Gedanken durch den Kopf gegangen, starteten die vier Falken nacheinander von den Pfählen und erhoben sich schnell und zielstrebig in den blauen Himmel. Ich schaute ihnen nach, bis ihre Formation hinter den Wipfeln eines kleinen Wäldchens verschwand.



Arkadi saß neben mir und hatte das Schauspiel ebenso ergriffen betrachtet wie ich. „Ich denke, das waren unsere beiden Falken mit ihren Kindern“ sagte ich zu ihm. Ob er das verstand? Ich weiß es nicht. In jedem Fall schaute er mich mit seinen großen braunen Augen wissend an.


Seit diesem Tag sehe ich die Falken immer wieder. An manchen Tagen sind es nur ihre Schreie, mit denen sie sich verständigen, die ich höre. Dann wieder beeindrucken sie meine Augen mit ihren Flugkünsten. Ihr Jagdrevier sind die Wiesen und Äcker, sowie das kleine Wäldchen am Ortsrand. Futter scheint genügend vorhanden zu sein. Bei meinen Spaziergängen finde ich immer wieder „Tatorte“ geschlagener Tauben und denke dann an „meine“ Falken. Ich hoffe, dass dieses kleine Falkenland noch lange Bestand hat.



Thomas Knackstedt